Eine ganz persönliche Betrachtung und Entscheidung
Als ich im November 2015 durch die Möglichkeit einer vorgezogenen Ruhestandsregelung aus dem aktiven Berufsleben ausschied, war in mir schon seit vielen Jahren der Wunsch gereift, nach dem Arbeitsleben ein soziales Ehrenamt wahrzunehmen. Bevor ich aber eine solche Aufgabe übernehmen wollte, nahm ich tatsächlich ein ganzes Jahr Auszeit für mich, um aus dem zuvor gelebten beruflichen Stress „Abschied“ nehmen zu können und mir auch Gedanken zu machen, welche soziale Aufgabe mein „Rentnerleben“ bereichern würde.
Ungefähr seit dem Jahr 2000, als ich in der Zeitschrift „Stern“ einen Bericht über das Kinder- und Jugendhospiz „Balthasar“ in Olpe gelesen hatte, beschäftigte ich mich immer wieder mit den Gedanken der Hospizbewegung und deren wundervolle Aufgabe, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zur Seite zu stehen und ihnen Zeit, Zuwendung und menschliche Wärme zu schenken – in einer existenziell herausfordernden Zeit, die nur noch auf Stunden, Tage oder vielleicht wenige Wochen begrenzt ist. Es wurde mir immer deutlicher, dass dies die Aufgabe ist, die mich anspricht und mir auch entspricht.
Im November 2016 schrieb die Ökumenische Hospizinitiative im Landkreis Ludwigsburg e.V. wieder einen Vorbereitungskurs für die Aufgabe als ehrenamtlicher Sterbebegleiter aus. Ich bewarb mich um einen Platz und wurde auch angenommen. Der Kurs dauerte bis Ende April 2017 und schloss mit einem Beauftragungsgottesdienst ab. Im Kurs selbst wurde viel Wert auf Selbstreflexion gelegt, auf eine gefestigte eigene Haltung, um Menschen am Ende ihres Lebens, unabhängig von der Art ihrer Erkrankung oder ihres Zustandes, Würde und Achtung entgegen bringen zu können.
Seit ca. 6 Jahren bin ich nun als Sterbebegleiter im Einsatz, schenke Menschen meine Zeit und Zuwendung, höre zu oder sitze einfach nur bei Menschen, die sich nicht mehr verbal äußern können, aber die Nähe und Berührungen der Hand spüren und genießen. Jede neue Begegnung ist anders, jede Begleitung bringt neue Erfahrungen. Einzutauchen in das Leben eines Menschen, Lebensgeschichten zu hören und das Vertrauen zu spüren, das die Sterbenden verschenken, ist ein intensives Erleben, das die eigene Wahrnehmung und Haltung sehr bereichert.
Sich mit dem Tod, der am Ende jeden Lebens steht, auseinanderzusetzen, ihn anzunehmen und als letzten Teil des Lebens zu begreifen, wird in unserer heutigen Gesellschaft oft verdrängt. Sicher kann sich nicht jeder die Aufgabe als Sterbebegleiter als seinen Weg vorstellen, aber die seelische Bereicherung, die menschlichen Erfahrungen, die mit dieser Aufgabe verbunden sind, erweitern den eigenen Horizont, erweitern die eigene Sicht auf das Leben und auf die Dinge, die wirklich wichtig sind – Mitmenschlichkeit, Vertrauen, Nähe, zuhören, mitfühlen. Als Sterbebegleiter kann man selbstverständlich nicht die körperlichen Schmerzen nehmen, die manche Menschen am Lebensende aushalten müssen, aber man kann durch die eigene Anwesenheit und Präsenz das Gefühl der Verlorenheit bei den Sterbenden ein bisschen mildern. Dem Geheimnis des Todes kommt man auch als Sterbebegleiter nicht auf die Spur, denn selbst wenn man im Augenblick des Todes gerade in der Begleitung dabei ist, ist der Tod doch selbst unbegreiflich. Als mein Resümee möchte ich noch anmerken, dass die selbst gewählte Aufgabe als Sterbebegleiter eine schöne, intensive Erfahrung ist, die mein Leben sehr bereichert. Ich möchte sie nicht missen.
Trotzdem macht man sich Gedanken, was nach dem Aussetzen des Atems und dem langsamen Erlöschen der verschiedenen Sinne von dem Mensch, der gerade gegangen ist, bleibt. Bei mir hat es dazu geführt, dass ich manchmal Gedichte schreibe, in denen ich mich auch mit dem Tod und dem Danach auseinandersetze. Eines dieser Gedichte möchte ich hier veröffentlichen.
Lebenskreis
Der Tod scheint wie das Tor zu einer unbekannten Welt
mit Pfaden, die man für fremd und unbegangen hält.
Doch tritt die Seele ein in diese Sphären
ist alles Fremde doch vertraut und ist als wären
die Wege und das Licht und all die unbegreifliche Magie
ein vergess‘ner Teil von Erinnerung und Energie
die bisher verloren waren in der Menschlichkeit
und nun in dieser neuen und doch bekannten Wirklichkeit
langsam und behutsam wieder ins Gedächtnis tropfen.
Zeit ist in diesem Hier und Jetzt vergessen
nur der Augenblick ist zählbar und bemessen
wie lange wir dort sind und uns verweilen
ist unerheblich, denn es ist die Ewigkeit.
Und doch geht unser Weg – ohne zu eilen
zurück in die dann wieder unbekannte Menschlichkeit.
Der Kreis er schließt sich – alles ist vergessen
man wächst und lebt und liebt und lernt
und ist im Leben ganz darauf versessen
zu erfahren und zu wissen und erkennt
den Lebenskreis, der wieder neu entstand
nicht als immerwährend und bekannt.
So ist das Menschenleben
der Kreis ist vorgegeben.
Von Günter Seriatz