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Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Interview mit Johanna Klug und Hermann Bayer

Hermann Bayer begleitet seit 17 Jahren zusammen mit Sabine Horn Vorbereitungskurse für Ehrenamtliche der Ökumenischen Hospizinitiative im Landkreis Ludwigsburg e.V. Nach dem 18. Kurs ist für den 72-Jährigen im April Schluss. Wir sind zutiefst dankbar für die gemeinsame Zeit. Zu Hermanns Verabschiedung freut es uns ganz besonders, dass die Hospizinitiative zusammen mit dem Lebenscafé die Autorin Johanna Klug für eine Lesung aus ihrem neuen Buch „Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens“ gewinnen konnte.

Warum sich Hermann darüber so freut und was Johanna bewegt – Fragen an Hermann Bayer und Johanna Klug!

Hallo Johanna.

Wir freuen uns sehr, dass Du nach Ludwigsburg kommst und uns aus Deinem neuen Buch „Liebe den ersten Tag vom Rest deines Lebens“ liest. Wie kommt ein so junger Mensch dazu, sich so einem schweren Thema zu widmen und welchen Auftrag siehst Du für Dich darin?

Es freut mich auch sehr bald bei euch in Ludwigsburg zu lesen. 😊

Ehrlich gesagt bin ich ein wenig müde davon ständig auf mein „junges Alter“ angesprochen zu werden. Ich sehe darin nämlich nichts Ungewöhnliches. Vielmehr sollten wir doch die Frage stellen, warum selbst Menschen im hohen Alter sich nicht damit auseinandersetzen. Unsere Sprache formt unsere Haltung und das ist deutlich zu spüren, wenn es um Sterben und Tod geht. Es wird oft von Schwere und etwas Dunklem gesprochen. Das ist für mich zu eindimensional. Denn das trifft nicht die Realität. Meinen Auftrag sehe ich darin ins Gespräch zu kommen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen und Geschichten und Wissen mitzugeben, das verbindet. 

Um was geht es in Deinem Buch? Warum lohnt es sich Dein Buch zu lesen und in die Stadtkirche zu kommen?

In meinem Buch erzähle ich zehn Geschichten von Menschen, die ich über die letzten 12 Jahre begleitet habe. Angefangen als 16-Jährige im Pflegeheim hin zu der Begleitung von Sarah, die an Kinderdemenz erkrankt ist, meinen Hospizerfahrungen in Südafrika und meinem Ehrenamt auf der Palli und im Hospiz. 

Es sind Geschichten mit Tiefgang. Es ist das pure Leben mit den Höhen und Tiefen. Schmerz, Trauer und Leid kann neben Freude, Glück und Zufriedenheit stehen. Das Leben ist bunt, so auch unsere Gefühle. Mir ist es ganz wichtig die Menschen zu berühren, sie mitzunehmen in meine Begegnungen und erfahrbar zu machen was es bedeutet am Ende des Lebens präsent zu sein. Denn irgendwann werden wir alle sterben oder Menschen im Sterben begleiten, die wir sehr lieben. Man kann Sterben nicht üben, aber wir können ein Bewusstsein dafür entwickeln und begreifen, dass die Endlichkeit zu uns gehört. Ohne den Tod gibt es schließlich auch kein Leben.

Du bist Sterbe- und Trauerbegleiterin, Journalistin, Speakerin und Autorin. Das klingt nach einem anstrengenden Alltag. Wie bleibst Du für Dich dabei achtsam?

Es sind sehr vielfältige Aufgaben, kein Tag ist gleich. Das sind verschiedene Rollen, die ich ja nicht alle parallel ausübe. Wenn ich eine Lesung habe, bin ich Autorin. Auf der Palli bin ich Begleiterin. So haben wir alle unsere unterschiedlichen Rollen in der Gesellschaft. Was es vielleicht zusätzlich manchmal etwas herausfordernd macht, ist, dass ich aktuell keinen festen Wohnsitz habe, da ich ständig unterwegs bin. Ein paar Tage, manchmal auch nur ein Tag an einem Ort, dann geht es schon wieder weiter. Mal schauen, wie lange ich diesen Lebensstil noch weiter mache. Zurzeit genieße ich die Freiheit aber sehr. 

Ich empfinde es als ein großes Geschenk genau das zu tun, was ich liebe und in keinem Beruf zu stecken, der mich einengt, begrenzt und mir keine neuen Abenteuer bietet. Ich brauche das. Achtsam zu bleiben ist ein Prozess und durch die unterschiedlichen Aufgaben als Freiberuflerin ständig im Wandel. Aber mir bedeutet es ganz viel meiner Leidenschaft zu folgen und immer wieder in Momenten innezuhalten und zu spüren: das ist meine integrierte Achtsamkeit. 

Hast Du Angst vor dem Tod?

Die Angst vor dem Tod ist unsere Urangst. Und ich glaube oft steckt unter der Angst vor zum Beispiel einem Kontrollverlust auch die Todesangst. Oft ist es ein Schutzmechanismus diese ganzen Ängste einfach wegzudrücken. Das ist ganz natürlich. Wir könnten ja gar nicht existieren, wenn uns ständig bewusst wäre zu sterben. 

Heute und hier würde ich sagen: nein, ich habe keine Angst vor dem Tod. Vielmehr ist da die Angst, wie meine engsten Freund*innen und Familie damit umgehen würden. Sich die eigenen Ängste einzugestehen erfordert Mut und macht verletzlich. Gefühle zu zeigen – in einem „safe space“ – um sich wahrhaft zu begegnen, lohnt sich meiner Meinung nach immer.


Hallo Hermann.

Du wolltest unbedingt Johanna zu Deiner Verabschiedung. Warum? Oder etwas provokativ gefragt: Was soll eine junge Autorin, einem alten Hasen wie Dir über das Leben und über den Umgang mit der Vergänglichkeit schon erzählen können?

Der „alte Hase“ ist immer noch am Lernen! Zu meinem Abschied soll deutlich werden, wie wir voneinander lernen. Es ist so, einerseits denkt der alte Hase… das kenne ich alles schon! (Eine Form der Arroganz der Älteren gegenüber Jüngeren) Und genau das möchte ich neu lernen als älterer und in der Hospizarbeit Erfahrener, Johanna zu zuhören und stauen und mich austauschen und lernen, in welcher Weise sie zum Beispiel der Welt ihren Anstoß gib und ihre Erfahrungen teilt.

17 Jahre lang hast Du zusammen mit Sabine den Vorbereitungskurs für unsere Ehrenamtlichen begleitet und damit die Hospizarbeit der Ökumenischen Hospizinitiative maßgeblich mit geprägt. Was bleibt davon in Deinem Herzen?

In meinem Herzen bleibt der lebendige Austausch mit Menschen – jüngere und ältere – die in ihrem Engagement der Erfahrung des Sterbens mitten im Leben begegnen und sich auf Begleitung sterbender Menschen einlassen. Stets spricht das eigene Motiv aus ihrem Herzen und darin ihre Offenheit, sich persönlich weiter zu entwickeln auf ihrem eigenen Weg.


Mit den Kursen ist jetzt Schluss, aber ein Hermann Bayer setzt sich nicht zur Ruhe. Oder etwa doch?

Mich-zur-Ruhe-setzen ist im Moment nicht in meinem Sprachschatz. Eher eine Neuausrichtung in der Balance von Stille und Tun, von Kontemplation und Engagement. Das durfte ich in jungen Jahren in Taizé in der Brüdergemeinschaft und mit vielen anderen lernen und einüben. Und dabei erleben, wie sich dieser Lebensauftrag im Laufe verschiedener Lebensalter wandelt. Eine Aufgabe beenden birgt in sich den Geschmack von Neuanfang. Ich lasse mich überraschen!

Hast Du Angst vor dem Tod?

Angst ist für mich nicht Frage. Ich spüre Unsicherheit vor etwas was ich erst am Ende meines Lebens kennenlernen werde und bis dahin unbekannt bleiben wird und ich spüre Vertrauen ins Leben, so wie es ist. Mir nahe Menschen, meinen Partner, Familien- und Freundeskreis zurücklassen müssen bewegt mehr mein Herz für diejenigen, die darum trauern werden. Aktuell spüre ich das so, vielleicht wird es jedoch auch ganz anders sein?

Vielen Dank für das Gespräch.


Die Hospizgruppe Steinheim – Murr – Erd­mann­hau­sen feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum mit sechs Veranstaltungen.

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